Hornussen

Das Familiäre, die Sportlichkeit und die Tradition. Valentin hat eine sanfte Stimme, doch in diesen Worten spürt man seine Kraft. Er nimmt sich Zeit und antwortet durchdacht. Er sitzt im Halbschatten, zwischen Bock und Stecken. «Den kannst du sicher interviewen. Der ist Schwiegermamas Liebling,» hatten seine Kameraden gesagt. Sie sitzen etwas weiter vom Spielfeld entfernt in der Sonne und plaudern. Valentin hat grossen Respekt vor den anderen Sportlern: «Man kann es als Sport oder als Tradition verstehen. Aber selbst wenn man den Konkurrenzkampf weglässt, erfordert das Hornussen Wendigkeit und taktisches Denken.» Das Alter der Anwesenden reicht von sieben bis siebzig Jahren. Valentin selbst stand mit sechs Jahren zum ersten Mal auf dem Ries, dem trapezförmigen Spielfeld.

Jeder ist unverzichtbar für die Winterthurer Hornussergesellschaft. Diese familiäre Bindung schwingt in jedem Streich mit. «Es ist die Bandbreite, die es ausmacht,» sagt Valentin «und eine solche Bandbreite bringt man im Hornussen einzigartig zu Stande.» Aber Hornussen ist nicht nur ein Sport für alle Altersgruppen. Er ist auch Team- und Einzelsport gleichzeitig. Wer den Hornussen von der Abschussrampe aus aufs Ries befördert, ist hochkonzentriert und blendet seine Umgebung aus. Auf dem Ries allerdings rufen sich die mit Schindeln bewaffneten Gegner lauthals Informationen zu, damit der Hornuss nicht unerkannt vorbeifliegt. «Im Feld hast du mehr Möglichkeiten, einen Teamsport daraus zu machen. Beim Schlagen bist du für dich allein,» erklärt Valentin. Er selbst tut lieber ab, versucht also den Hornuss mit der Schindel zu stoppen. Das dürfte auch daran liegen, dass er eine besonders prestigeträchtige Position auf dem Feld einnehmen darf: Valentin steht ganz hinten, am weitesten vom Bock entfernt. Er ist der letzte Widerstand.

Eine Schindel wiegt ungefähr sechs Kilo und besteht aus verleimtem Holz. Die massive Konstruktion ist nötig, weil der fliegende Hornuss Geschwindigkeiten von bis zu 360 Stundenkilometern erreichen kann. Der Stecken, mit dem der Hornuss zum Fliegen gebracht wird, wirkt dagegen fast filigran. Damit der Hornuss schnell und weit fliegt, braucht es viel Dynamik und Körperspannung, aber nicht nur.

«Kraft, Technik, Koordination – alles muss zusammenspielen,» erklärt Adrian. Auch er ist seit über zwanzig Jahren bei der Winterthurer Hornussergesellschaft dabei. Der Sport ist ein Teil von ihm. «Mit drei hielt ich zum ersten Mal einen Stecken in der Hand. Die letzten zwei Jahre musste ich aussetzen, weil ich Knieprobleme hatte. Ich habe richtig gemerkt, wie mir etwas fehlte.» Er gestikuliert und die Hände nähern sich seinem Herzen. Wahrscheinlich war der Schmerz dort grösser als im Knie.

Obwohl der Sport für alle Anwesenden eine wichtige Rolle spielt, bleibt ihre Faszination der breiten Öffentlichkeit verwehrt. Das hat verschiedene Gründe, erklärt Adrian: «Wenn man die technischen Nuancen nicht sieht, ist es immer das Gleiche.» Ausserdem kann man Hornussen auch unsportlich spielen. «Die körperlichen Voraussetzungen sind nicht unbedingt entscheidend,» fährt er fort. Deshalb können die Älteren auch problemlos mit den Jüngeren auf dem Platz stehen. «Der Stand, der Stecken, das Gewicht, der Zug – das muss alles zusammenpassen.» Wer sich seine Formell aber zurechtgelegt hat und mit dem Ergebnis zufrieden ist, kann mit überschaubarem Aufwand beständige Resultate erreichen. Valentin ergänzt Adrians Ausführungen: «Ein Teil der Hornusser ist auch gern zurückhaltend und spielt einfach sein Spiel.» Dass eine Partie im Schnitt drei Stunden dauert, ist sicherlich auch nicht förderlich.

Immer bevor ein Spieler den nächsten Streich macht, wird es still um den Bock. Er misst an, ähnlich wie beim Golf, und holt dann aus. «Kommt nicht!» Entwarnung für die auf dem Feld. Der Hornuss wurde nicht richtig getroffen und liegt neben der Abschussrampe. Beat, der Vereinspräsident stellt eine Eisteeflasche auf den Platz. «Hierhin, nicht dem Hornuss nachschauen.» Der Junge nickt. Wieder halten alle inne. Und siehe da: Er fliegt. «Es ist immer was Spezielles. Eine Ruhe, aber doch auch eine Anspannung,» sagt Adrian mit Lächeln in den Augen. In der Ruhe liegt die Kraft.

Eigentlich hätte die Meisterschaft bereits begonnen, doch aufgrund der Pandemie hat sich alles etwas nach hinten verschoben. «Die Vorbereitung ist jetzt besonders wichtig,» sagt Valentin, «denn wir wissen noch nicht, wann die Meisterschaft effektiv beginnt.» In der Pause, während alle auf den Festbänken sitzen, lässt Beat abstimmen: «Wer ist dafür, dass wir an der Meisterschaft mitmachen?» Fast alle strecken auf. Bei zweien gibt es Komplikationen. Weil sich die Meisterschaft nach hinten verschoben hat, fallen die letzten Spiele in die Heuerntezeit. «Ich muss dann zuhause helfen. Aber die Spiele davor, da könnte ich schon noch mitmachen.» Nachdenklich blickt man sich an. «Wir klären das bilateral.» Ein wahrer Schweizer Moment.